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Empty Nest Syndrom: Und plötzlich wieder zu zweit

Empty Nest Syndrom: Was hilft gegen die plötzliche Leere?
Empty Nest Syndrom: Was hilft gegen die plötzliche Leere? Credit: Getty Images

Wenn die Kinder das elterliche Haus verlassen, beginnt für viele Eltern eine schwierige Zeit der Umstellung. Denn die plötzliche Leere will gefüllt sein. Mit diesen Tipps umgeht ihr das Empty Nest Syndrom.

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Da hat man sich jahrelang gewünscht, auch mal eine Minute für sich zu haben, nicht ständig für die Kinder springen zu müssen, all der Lärm, all die Sorgen, und dann das: Plötzlich ist das Haus leer und man hat tausende von Minuten nur für sich. Ab jetzt, für immer. Und das ist nicht selten der Moment, in dem man in ein tiefes Loch fällt.

Nicht nur, dass man sich selbst vielleicht darüber definiert hat, dass man Mutter oder Vater ist, dass man eine Familie zu versorgen hat. Einfach, weil der eigene Nachwuchs einen zeitlich und gedanklich einen gewissen Teil des Tages in Anspruch genommen hat. Und das mal locker 17 bis 27 Jahren lang, je nach Ausbildung und Auszieh-Tendenzen.

Aber noch etwas anderes fällt jetzt schwer ins Gewicht: Die Tatsache, dass die beiden Personen, die jetzt so lange Eltern waren, plötzlich wieder das sind, was sie ganz zu Anfang waren, nämlich ein Paar. Hört sich seltsam an, ist aber gar nicht so leicht zu wuppen.

Und weil diese Situation für alle Beteiligten nicht einfach ist, hat sie sogar einen Namen: Empty Nest Syndrom nannten amerikanische Soziologen dieses Phänomen bereits in den 1960er-Jahren. Was genau sich hinter dem Begriff verbirgt, warum diese Phase auch Chancen birgt und wie ihr sie am besten meistert, erfahrt ihr hier.

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Empty Nest Syndrom: Wie füllt man die neue Leere?

Klar ist jedem Elternteil bewusst, dass dieser Tag kommen wird, an dem das Kind sein eigenes Leben führt. Dennoch ist man dann doch wie vor den Kopf gestoßen, wenn die Kinder die Wohnungstür hinter sich zu machen und mit dem Umzugswagen davonrauschen.

Sind die Kinder plötzlich aus dem Haus, stürzen sich viele Eltern zunächst einmal in Aktionismus. Haus oder Wohnung umgestalten, den neugewonnenen Platz und die neugewonnene Zeit füllen. Ein Arbeitszimmer, ein Sportkurs oder was auch immer die neue Leere füllt. Aber hilft das wirklich?

Die Beziehung zu den Kindern kann nach dem Auszug eine ganz neue, gute Qualität bekommen.
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Loslassen: Das Besondere der Eltern-Kind-Liebe

Ziehen die Kinder aus, sind viele Eltern zwischen 45 und 60, also in einem Alter, in dem man eigentlich weiß, was man möchte. Da ist oft wenig, was jetzt jahrelang darauf gewartet hätte, endlich angepackt zu werden, denn Kinder werden ja nicht von heute auf morgen flügge. Bevor sie ausgezogen sind, liegt ja bereits eine längere Zeit der Abnabelung hinter den Kindern. Sie sind ja nicht erst dann eigenständig, wenn sie nicht mehr zu Hause wohnen.

Dennoch ist der Auszug doch etwas anderes. Es hat dieses Endgültige. Und obwohl Eltern so sehr wollen, dass man auf eigenen Füßen steht und ein erfolgreiches, eigenes Leben aufbaut, so sehr fällt es vielen von ihnen doch schwer, wenn es dann so weit ist.

Dabei wissen ja schon Eltern von Kleinkindern, dass sich die Minis wie wild freuen, wenn sie etwas alleine schaffen. Und Eltern bestärken ihr Kind ja auch darin. Und genau das macht elterliche Liebe auch so besonders. Sie ist selbstlos, sie will das Beste für das Kind, auch wenn das bedeutet, loslassen zu müssen.

Empty Nest Syndrom: Kinder bleiben heute länger im Nest

Und dieses Loslassen beginnt ja schon vor dem großen Umzug. Viele junge Erwachsene wohnen heute deutlich länger bei ihren Eltern, einfach, weil die Mieten zu hoch, die Entfernung zu weit oder das Gehalt zu gering ist, während ihrer Ausbildungszeit. Und dann wohnt man zwar noch bei Mama und Papa, führt aber längst sein eigenes Leben.

Laut Statistischem Bundesamt ziehen Jugendliche in Deutschland heute später aus als beispielsweise in den 1990er Jahren (bis zu 4 Jahre später). Das durchschnittliche Alter liegt demnach bei 23,7 Jahren, Frauen ziehen mit 22,9 früher aus, Männer mit 24,4 Jahren später.

Das mag auch daran liegen, dass Kinder heutzutage nicht so stark auf Konfrontationskurs zu den Eltern gehen wie vielleicht noch in den 60er Jahren. Vielmehr gelten sie eher als Konsens-Generation. Das zeigte auch die 18. SHELL Jugendstudie aus dem Jahr 2019. Da heißt es: „Die allermeisten Jugendlichen (92 Prozent) verstehen sich gut mit ihren Eltern; eine große Mehrheit sieht diese auch als Erziehungsvorbilder (74 Prozent).“

Man möchte meinen, dieser Kuschelkurs müsste die räumliche Trennung eigentlich leichter zu verschmerzen machen, als wenn das Kind im Streit mit 18 abhaut. Die enge Bindung macht es gleichzeitig aber auch schwieriger.

Schwierige Phase: Das Leben wandelt sich an allen Fronten

Was man auch nicht vergessen darf: Wenn die Kinder ausziehen, um vielleicht auch eine eigene Familie zu gründen, dann trifft das die Eltern oftmals in einer Phase im Leben, in der sich eh schon vieles wandelt oder im Wandel begriffen ist. Oftmals steckt man selbst im Alterungsprozess, in den Wechseljahren, und muss erkennen, dass man selbst langsam zu den Alten gehören wird.

In dieser Phase kümmern sich die Eltern auch meist selbst um ihre älter werdenden Eltern, sind vielleicht mit Krankheit und Sterben konfrontiert. Auch das macht diese Phase schwierig. Man erkennt den Lauf des Lebens, das Kommen und Gehen, das jeder von uns akzeptieren muss.

Da viele Paare heute eher spätgebärend sind, fällt der Auszug der Kinder auch mitunter genau in die Zeit, in der man sich selbst zur Ruhe setzt. Auch das ist eine schwierige Phase, wenn die Funktion als Elternhaus und als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer plötzlich zeitgleich endet. Da fragt man sich gleich doppelt: Wohin mit all der neu gewonnenen Zeit? Und wie mag es da erst denen gehen, die alleinerziehend sind?

Was hilft gegen das Empty Nest Syndrom?

#1 Den Partner neu entdecken.

Oft ist die neue Situation auch eine Chance, wieder an der Beziehung zu arbeiten und sie zum Besseren zu führen. Wichtig: Nicht all die gewonnene Kraft und Energie nur auf den Partner lenken. Das wäre ein bisschen zu viel des Guten. Wichtig ist es, sich auch um andere Bereiche zu bemühen, außerhalb der Beziehung.

Es ist ja ähnlich wie, wenn einer von beiden plötzlich in Rente geht. Da ist auf einmal jemand, der immer da ist. Das gilt es elegant zu meistern. Denn natürlich überfordert dieses auf sich Zurückgeworfensein beide Parteien. Deshalb direkt klar für sich haben: Die Zeit, die die Kinder bislang in Anspruch genommen haben, darf der Partnerschaft zugutekommen – sie muss es aber nicht in voller Gänze.

Laut einer Studie der Universität Heidelberg von Thomas Klein und Ingmar Rapp ist das Trennungsrisiko bei Paaren mit Empty Nest Syndrom durchaus erhöht. Deshalb sollten sich beide Partner wirklich bewusst darum bemühen, mit der Situation konstruktiv umzugehen. Sich einzukapseln und still vor sich hinzuleiden ist in jedem Fall nicht der richtige Weg.

Wichtig ist es vor allem, alte Rollenmuster zu überdenken und neue zu schaffen. Ist die Frau vielleicht oft mehr in die Rolle derjenigen gerutscht, die den Haushalt und die Kinder betreut hat, so sollten beide ab sofort für mehr Gleichberechtigung im Alltag sorgen. Vielleicht haben sich unfreiwillig Dinge eingeschlichen, die jetzt endlich geändert werden können.

Noch ein Tipp bei Empty Nest Syndrom: Neue Routinen schaffen, die die alten, entfallenen ersetzen. War früher das Familienfrühstück am Sonntag wichtig, so kann das jetzt etwas ganz anderes sein. Beide Partner können und sollten sich neue Rituale schaffen, und wenn es der gemeinsame Kinobesuch, das Essen beim Italiener um die Ecke oder ein gemeinsames Kochen am Wochenende ist. Egal was, jetzt ist die Zeit da, für neue, schöne Erlebnisse.

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Studien zeigen: Das Trennungsrisiko in dieser Phase ist durchaus erhöht.
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#2 Die Beziehung zu den Kindern auf eine neue Ebene heben.

Auch wenn sich die Rollenverteilung in Familien bekanntermaßen nur Millimeterweise verändert im Leben, man bleibt eben ewig das Kind und die Eltern bleiben Eltern, so ändert sich das Verhältnis zwischen beiden Seiten maßgeblich durch den Auszug.

Das ist ein wenig so wie Paare, die Living apart together praktizieren, also getrennte Wohnungen trotz einer festen Beziehung haben. Auf diese Art und Weise sieht man sich bewusster, hat Verabredungen, besucht einander, freut sich aufeinander. Das ist bei Familien nicht anders als bei diesen Beziehungen.

Vieles wird bewusster erlebt und mehr genossen. Eltern und Kinder finden einen neuen Kontakt, freundschaftlicher, mehr auf Augenhöhe. Und sie gehen sich in den Momenten aus dem Weg, in denen man früher häufig aneinander geraten ist. Morgens im Bad, wenn es alle eilig haben, wenn geputzt werden muss, wenn man gestresst und genervt ist und seine Ruhe haben möchte.

Diese neue Beziehung zu den Eltern empfinden viele Kinder als extrem schön. Als Jugendlicher ist man ständig bestrebt, die Eltern auf Abstand zu halten, um sein eigenes Leben leben zu können, seinen eigenen Weg zu gehen. Sie sollen sich nicht einmischen, nicht mitbestimmen oder Stress machen. Und plötzlich sind sie eben nicht ständig um einen rum und man vermisst sie. Und trifft sie bewusst und aktiv. Das ist ein enormer Unterschied.

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#3 Neue Wege begehen und neu durchstarten.

Menopause, die Kinder ausgezogen, die Beziehung vor neuen Herausforderungen und dann noch das Empty Nest Syndrom: All das ist sicherlich nicht einfach. Aber da wir heute statistisch älter werden, ist’s vielleicht gerade mal Halbzeit zu diesem Zeitpunkt. Es wäre also mehr als sinnfrei, jetzt den Kopf in den Sand zu stecken und zu denken, alles sei zu spät. Die Dinge sind nie zu spät um sie zu ändern, wenn wir bereit dafür sind.

Sowohl jobtechnisch als auch beziehungstechnisch können wir sehr viel tun. Wir können aber auch ganz neue Wege beschreiten, vielleicht ins Ausland gehen oder ein liebgewonnenes Hobby zum Beruf machen. Mutig zu sein, ist jetzt absolut OK. Und ganz nebenbei: Auch wenn viele Eltern ihre Kinder noch finanziell unterstützen: Ein paar Kosten spart man schon, wenn die Kinder ihr eigenes Geld verdienen. Auch eine Überlegung wert.

Wichtig ist, sich nicht schlecht zu fühlen. Sei es, dass man sich Sorgen um das Kind macht, dass man nicht loslassen kann oder dass man sich als Rabeneltern fühlt, weil man sich selbst furchtbar leid tut und trauert. Auch wer das Kinderzimmer schon am nächsten Tag zu seinem Sport-, Arbeits- oder Gästezimmer umfunktioniert, muss sich nicht schlecht fühlen.

Hauptsache, man nimmt die neue Situation an, redet über seine Gefühle mit dem Partner, den Kindern, Freunden oder evtl. auch einer Empty Nest Syndrom Selbsthilfegruppe (z.B. die Empty Nest Moms). Und man sollte bereit sein, sich selbst am Schopf wieder aus seinem Empty Nest Syndrom herauszuziehen, sich nicht hängenzulassen. Fakt ist: Kinder lieben einen nicht mehr, nur weil sie mit einem unter einem Dach leben. Eine gute Beziehung zueinander übersteht auch die Distanz.